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Mutter sein

im nachhinein frage ich mich, ob ich nur so naiv war - oder ob meine ganze generation irgendwie unrealistischer war. zugegeben, ich war jung, als ich das erste baby bekam - und irgendwie hatte ich ein total gesundes gottvertrauen, dass dieses kind (mit meiner hilfe) schon irgendwie gross werden würde. alle anderen um mich herum wurden das schliesslich auch.

 

meine mutter lebte nicht mehr - sie konnte ich also nicht fragen. meine tante, die nächste bezugsperson, hatte keine kinder - aber den starken glauben, dass man kinder "zwar sehen, aber nicht hören sollte". und dass man gerade am tisch sitzt und während des essens schweigt - kurz: dass man den "knigge" schon bei der geburt einprogrammiert hat (ich hatte das nicht - und mein baby natürlich auch nicht, wie ich später merken sollte).

 

viel lesenswerte literatur war zu der zeit auch nicht auf dem markt, empfohlen wurde das buch "ich freue mich auf mein kind", das ich mir auch sofort besorgte und das dann meine "bibel" wurde (als ich es bei ihrer ersten schwangerschaft an anna weitergab, hat sie sich herzlich über die antiquität gefreut, mir aber auch gleichzeitig mitgeteilt, dass sich die zeiten geändert hätten). das war mir  zwar nicht ganz klar, dachte ich doch, das "modell mensch" sei gleichgeblieben - aber offenbar war das buch wirklich hoffnungslos veraltet.

 

trotzdem habe ich diese erste schwangerschaft hinter mich gebracht und an einem heissen juli-

montag (erik wurde eigentlich erst im august erwartet - und damals konnte man ja noch nicht vorausbestimmen, ob man einen jungen oder ein mädchen bekommen würde. ich war aber trotzdem absolut sicher, dass es ein "erik" werden würde) wurde ich von ersten wehen überrascht. ich war allein zu haus, mein mann war geschäftlich im ausland - und weisungsgemäss rief ich die hebamme an, die mich dann auch sofort ins spital bestellte. am mittwoch mittag, dem heissesten tag in diesem juli, um 13.02 uhr war erik dann endlich da - und als ich ihn das erste mal ansah, ging mir plötzlich auf, dass ich die vermutlich nächsten zwanzig jahre nie mehr ohne dieses menschenbündel sein würde. plötzlich fragte ich mich, ob ich DAS wirklich gewollt hatte. aber nun ja, zurückschicken konnte ich ihn ja nicht.

 

als wir zu hause waren, schrie es ununterbrochen. von der menge milch, die ich ihm geben konnte, konnte erik nicht leben - und alles, was ich ihm auf anraten der "mütterberatung" zufütterte, spuckte er im hohen bogen wieder aus. wenn wir dann beide, baby und ich, milchbesudelt in einer ecke sassen, war mir das weinen immer näher als das lachen - und auch der neue vater war nur mässig begeistert über seinen lautstarken sprössling, nachdem er die bekanntschaft mit ihm gemacht hatte. mir war auf jeden fall eines klar: EIN baby, nämlich dieses - und dabei würde es bleiben!

 

aber irgendwann bekamen wir das problem in den griff und fanden die richtige milch, die erik auch vertrug (beim zweiten kind wusste ich dann, dass eine laktose-intoleranz in der familie liegt) und plötzlich nahm er auch nicht mehr ab, sondern zu. und nach etwa drei monaten, welch ein segen, hörte er auf zu schreien und fand sich in seinem neuen baby-dasein zurecht. er machte alles, was man von ihm erwartete, nur sitzen und laufen lernte er erst recht spät. und erst später wusste ich, dass mein sohn zwar clever, aber auch ganz einfach "faul" war (hm, übrigens immer noch ist...)

 

damals war das grosse thema "anti-autoritäre erziehung" - aber ich war mir nicht ganz sicher, ob ich auf diesen wagen aufspringen wollte. rein von der vernunft her sagte ich mir, dass ein kind seine grenzen nicht ohne lehrer erkennen kann - obwohl es sicher einfacher gewesen wäre, zu allem "ja" zu sagen.

in der kommenden zeit sagte ich also sehr oft "nein" und freute mich immer, wenn ich von kindern las, die ihre eltern austricksten und irgendwie daneben gerieten.

 

vielleicht war aber auch die zeit noch einfacher. wenn ich heute so sehe, was meine enkel alles erleben und was von ihnen erwartet wird, denke ich, dass meine kinder irgendwie noch mehr glück hatten. sie wuchsen in einer zeit auf, in der es wohl fernsehen gab, aber nur zwei sender. bei denen durfte man natürlich nur das "sandmännchen" sehen (und dann später am sonntag mittag "die sendung mit der maus") - und danach war zeit für's bett. es gab noch eine geschichte und dann war ruhe. meistens wenigstens.

 

und irgendwie war es auch noch selbstverständlich, dass man mit seinem kind spielte, dass man mit ihm baute und bilderbücher anschaute. dass man versuchte, ihm etwas beizubringen und nicht erwartete, dass die lehrer das später schon tun würden. das essen kochte man noch selbst, und auch, wenn rüebli und spinat jedes mal auf mutter's bluse landeten, wurden sie tapfer weiter gekocht - das gehörte sich für eine gute mutter schliesslich so. einmal in der woche gab es rohe geschabte leber und auf anraten des kinderarztes zusätzlich vitamin-D-tropfen. und jeden tag ging man mit dem kind natürlich spazieren - weil das erstens frische luft bedeutete und zweitens seine aufmerksamkeit förderte. wir  wohnten ein bisschen ausserhalb einer kleineren stadt und so machte erik schon bald bekanntschaft mit allem möglichen getier, an dem er auch immer freude hatte.

 

die windeln waren noch aus stoff - und auch, wenn es schon die ersten papierwindeln gab: so versnobt war man dann doch nicht. eine gute mutter wusch die windeln des kindes selbst, und damit basta. Und waschen konnte man in der regel einmal in der woche, da blieb also sehr viel handwäsche übrig...

 

und natürlich gab es eine menge unsicherheiten, zum beispiel als erik seinen ersten geburtstag im spital verbringen musste, weil er eine hirnhautreizung hatte. oder wenn er plötzlich "pseudo-krupp"-anfälle bekam. beim ersten handelte ich instinktiv richtig: ich schleppte ihn ins badezimmer und drehte den heisswasser-hahn auf - und erst danach erklärte mir unser familiendoktor, was es mit dieser krankheit (die dann später erfreulicherweise wieder verschwand) auf sich hatte, so dass ich all die kommenden male gewarnt war.

 

trotzdem habe ich heute nicht das gefühl, unter all diesen auflagen gelitten zu haben. es war eine andere zeit - oder vielleicht habe ich auch nur vieles vergessen. ich glaube aber, wichtig war damals wie heute, die erinnerung daran, wie sehr man dieses kind gewollt hatte und was man sich alles vorgenommen hatte und was man auch dafür bekommen würde. positives UND negatives. und dass man sich nicht einfach aus der verantwortung schleichen konnte... obwohl man das sicher sehr oft gerne getan hätte (und ich besonders, nachdem ich niemanden hier kannte, der mir das kind auch nur einmal für eine stunde hätte abnehmen können).

 

und natürlich hatte die geschichte auch eine fortsetzung...

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