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Sprechen Sie deutsch?


Wie Sie ja wissen, schreibe ich gerne. Und ich lese auch sehr gerne. Denn ich mag die Sprache, die deutsche insbesondere. Wenn ich aber mit meinen Kindern kommuniziere, frage ich mich schon ab und zu, wer hier eigentlich welche Sprache spricht.


Kleinkinder-Kauderwelsch bis Kindergarten-Sprachkorrektur

Als meine Jungs noch klein waren, brabbelten sie vor sich hin und ich konnte mehr raten als hören, was sie wollten. Mit etwas Übung wissen wir Eltern ja, was unsere Sprösslinge meinen, wenn sie nach einem «baba» verlangen oder gar entrüstet «u-hu» meinen. Mit der Zeit lernen die Racker ja dann aber doch sprechen und plötzlich scheinen sie damit gar nicht mehr aufzuhören. Nicht jedes Wort wird ganz richtig wieder gegeben und es ist meist recht witzig, was da so passiert: wenn etwas unfair ist und der Kleinste meint, das sei nun aber ganz schön «unfies» dann erheitert diese treffende Wortkombination bei uns alle. Und dass er die Schlange als Ssslange sieht, finden wir eigentlich auch recht süss – nur die Logopädin im Kindergarten, die will dagegen etwas unternehmen. Das gleiche gilt auch, wenn er meint «ich has nöd tse und ich bis nöd tsi» (freie Übersetzung: ich habe es nicht gesehen und ich bin es nicht gewesen). Schade eigentlich… Und dass er «no nie glügt « hat, steht ja auch ausser Frage, oder? Aber das interessiert in der Schule niemanden, denn dort legt man mehr Wert auf die korrekte Grammatik als die Wahrheit.


Schulwissen bis Sprachlosigkeit

In der Schule lernen unsere lieben Kleinen dann, wie man mit dem deutschen Wort umgeht. Bereits im Kindergarten wird damit gestartet, die «Schriftsprache» anzuwenden. Damit dann auch alle uns verstehen, denn nicht alle sprechen ja unsere Sprache. Dass eigentlich alle Kids genau die gleiche Sprache, die man ihnen nun als Besonderheit auftischt, TV sei Dank längst in ihrem Alltag integriert haben, stört dabei niemanden. Man erklärt den Kindern so lange, dass sie nun eine neue Sprache lernen müssen, bis sie beinahe ein wenig Angst davor haben. Währen Jahren quälen sich die Kinder nun durch Aufsätze, die geschrieben werden sollen. Durch Texte, bei denen das Hörverstehen dann geprüft wird. Durch Bücher, die sie eigentlich gar nicht lesen wollen. Bis hin zu Gedichten, die ja total doof sind. Trotz aller modernen und vielgelobten Sprachreformen also eigentlich genau das, was auch schon wir hinter uns gebracht haben… Irgendwann dann sind unsere Kinder gross genug und können mit dem Wort umgehen, sogar dem Neudeutschen, das wir Eltern ja immer noch nicht begriffen haben. Und genau in diesem Moment passiert es: die Pubertät setzt ein! Ab sofort mutieren unsere Kinder zu wortkargen, introvertierten Menschen, die uns nun nicht mehr mit Text, sondern nur noch mit Gesten erfreuen. Eine hochgezogene Braue bedeutet «was willst Du?», ein absackender Mundwinkel «lass mich in Ruhe!» – willkommen in der modernen Sprachlosigkeit und im Leben eines Teenagers.


Bahnhof bis Fassungslosigkeit

Wobei diese Sprachlosigkeit ja bevorzugt zuhause stattfindet. Im Kontakt mit anderen Teenagern dann aber wird sehr viel kommuniziert, natürlich am liebsten per SMS oder chat. Und wenn ich dann ausnahmsweise einmal bei einem meiner Söhne mitlese, wie da jemand gefragt wird, ob qq (Übersetzung: geht es Dir gut?) oder wms (Was machst Du so?), dann verstehe ich bloss Bahnhof. Noch schlimmer wird’s dann, wenn ich statt «ja» nun «ya» lese oder statt «nein» ein einfaches «ne». Mein Teenager-Sohn würde dazu schreiben: ish ya voll krass. Und ich? Ich frage mich, welche Sprache denn nun bei uns eigentlich noch gesprochen wird.


Sprechen Sie denn noch deutsch?

fragt Anna Schreiber

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